Die frischgebackene Mama Clara hatte sich das Stillen, trotz guter Vorbereitung, ganz anders vorgsetellt. Sie teilt ihre bewegende Geschichte mit uns, um Mut zu machen und aufzuklären. Ich bin sehr dankbar, dass Clara sich die Mühe gemacht hat, jede Etappe für uns aufzuschreiben. Viel Freude beim Lesen!
Das eigene Kind stillen – so wie dein Körper es schon in der Schwangerschaft tat, so soll auch nach der Geburt dein Kind von dir und deinem Körper genährt werden. So hat es die Natur schließlich vorgesehen – nicht umsonst heißt es Säugetier und noch spezifischer Säugling.
Ich wollte es so sehr: Ich hatte dieses Bild im Kopf von mir und meinem stillenden Baby ganz in friedlicher nährender intimer Zweisamkeit und dann kam alles anders.
Unsere Tochter kam ganz natürlich und selbstbestimmt auf die Welt. Die Geburt war ein tolles Erlebnis ohne Angst, aber mit viel Respekt davor, was mein Körper und mein Baby da nun in den kommenden Stunden leisten sollten. Ich hatte das Glück, dass die Eröffnungswehen gut erträglich waren und die Presswehen nicht allzu lange dauerten: Um 00:30 Uhr fing ich an einem Sonntagabend an meine Wehen zu timen; um 4:00 Uhr weckte ich dann meinen Partner und schlug vor, dass wir nun doch mal losfahren könnten, denn die Wehen kamen regelmäßig alle fünf Minuten; um 5:00 Uhr wurden wir im Klinikum aufgenommen und der Muttermund hatte sich bereits auf 8 cm geweitet, was mir Tränen der Erleichterung in die Augen trieb; um 7:10 Uhr erblickte Emma das Licht der Welt, wobei sie den ersten Schrei schon von sich ließ, als sie erst bis zur Nase geboren war – ein Geräusch auf das dich auch kein Mensch vorbereiten kann. Ich hatte keine schmerzfreie Geburt, aber ich fühlte mich im Kreißsaal gehört und verstanden. Mein Partner war glücklicherweise trotz der Corona-Krise immer an meiner Seite.
Ich habe mich mit dem Thema Stillen bereits vor der Geburt beschäftigt, habe mir verschiedene Stillpositionen in Videos angeschaut und vom intuitiven Stillen gelesen, doch was die kommenden sechs Woche nach der Geburt auf mich zukommen sollte, das habe ich irgendwie „überlesen“.
Im Krankenhaus klappte das erste Anlegen überhaupt nicht. Unsere Tochter war sehr geschafft von der Geburt und wollte nur schlafen. Doch bald plagte sie natürlich der Hunger, sie schrie und weinte bitterlich. An der Brust schien sie die Brustwarze einfach nicht zu fassen zu bekommen und brüllte verzweifelt die Brust an. Mir wurde gesagt, dass ich sehr kleine und flache Brustwarzen habe. Außerdem habe ich einen etwas verspäteten Milchspendereflex, der gepaart mit einem hungrigen ungeduldigen Kind eine schlechte Voraussetzung für einen einfachen Stillstart ist.
Immer wieder drückte ich auf diesen Hilfe versprechenden roten Knopf, dass es jetzt mit dem nächsten Paar geschulter Hände doch klappten müsse. Die ganze pränatale Lektüre brachte mir in dieser Stresssituation nichts. Ich schaffte es nicht sie alleine anzulegen, wusste ich schließlich noch nicht so recht, wie und wo ich diesen kleinen zerbrechlich wirkenden Körper anfassen konnte. Einer Kinderkrankenschwester geht das natürlich leicht von der Hand, doch der zielgerichtete Karnickelfanggriff in den Nacken meiner Tochter und das forsche Anpressen an die Brust ließ sie nur noch mehr schreien – mmmh, wieso das denn bloß?! Heute blicke ich auf diese Zeit im Krankenhaus zurück und ich werde traurig und auch ein wenig wütend mit mir selbst. Ich entschied mich damals nämlich dafür fünf Tage dort zu bleiben, „nur“ weil es mit dem Stillen nicht funktionierte und dieser rote kleine Knopf, der da so über meinem Kopf im Krankenbett baumelte, gab mir das trügerische Gefühl der Sicherheit, denn schließlich waren das hier doch die Expert*Innen. Ich möchte an dieser Stelle aber in keiner Weise die Arbeit des Pflegepersonals schlechtreden. Sie machen einen so wichtigen Job! Ich denke aber, dass das Schichtsystem und die generelle Krankenhausatmosphäre nicht heilsam für eine holprige Stillbeziehung ist.
Ich erholte mich sehr gut von der Geburt, doch schnell merkte ich, dass ich mit der neuen Situation emotional und mental komplett überfordert war. Ich holte meinen Partner von Mittwoch bis Freitag mit ins Familienzimmer. Während ich abpumpte, fütterte er die Kleine per Fingerfeeder (eine mit abwechselnd Prenahrung und Muttermilch gefüllte Spritze mit langer flexibler Kanüle, welche neben dem kleinen Finger des Fütternden in den Mund des Neugeborenen geführt wird). Der richtige Milcheinschuss ließ auf sich warten…deshalb galt vor dem Abpumpen warme Wickel und Brustmassage! Wenn dann aber auch nach zwei Minuten immer noch keine Milch in die Flasche tropfte, packten mich die Verzweiflung und große Versagensängste.
Ich blieb trotzdem dran.
Das Abpumpen mit der falschen Haubengröße (hier kam leider zu spät kompetente Beratung) ließ meine Brustwarzen wund und rissig werden. Das Kind hatte nicht einmal daran gesaugt und ich musste meine kaputten Brustwarzen mit dem Laser behandeln lassen – das war für mich absolut verrückt! Zwischen Brustmassagen, warmen Wickeln, Abpumpen, Pumpset säubern, Lasern, Lanolin, Kohlblättern und Luft dranlassen umsorgten wir gemeinsam das, so schien es, dauerhaft schreiende Kind.
Nach den fünf Tagen, so schien es, hatten wir alles ausprobiert und wir fuhren geschlagen mit der ausgeliehenen Pumpe, einem Vorrat an Fingerfeedern und Stillhütchen im Gepäck nach Hause. Mein Partner hatte noch im Klinikum eine Rundumschlagbestellung mit Prenahrung und Fläschchen getätigt.
Nun sollte der erste Hebammenbesuch kommen und als mein Partner die Kleine wickelte, fragte unsere Hebamme mich: „Und wie geht es dir?“ – Ich konnte nicht an mich halten und die Tränen kamen ungehemmt und ich klagte mein Leid. Auch sie sagte mir, wie schon jede Krankenschwester in jeder Schicht, dass es manchmal dauert, bis die Babys es kapieren. Dieser Satz hatte aber schon jegliche Bedeutung für mich verloren. Doch dann legte ich mich mit meiner Tochter gemeinsam in unser Bett, ganz behutsam und langsam führte unsere Hebamme meine Tochter zu meiner Brust. Meine Brustwarze sollte ich vorher stimulieren und formen, sodass am besten auch schon ein Tropfen Milch daran wartete. Meine Tochter schleckte ihn bereitwillig ab, doch andocken wollte sie nicht. Nun nahmen wir das Stillhütchen (auch hier kann man unterschiedliche Größen ausprobieren) dazu und siehe da, Emma trank an der Brust. Ich war fassungslos!
Und so begann unser Stillabenteuer zu Hause. Langsam kam unsere Tochter an in der Welt und bei uns. Ich pumpte brav nach Plan ab, trank ganz viel Malzbier und aß „die guten Fette“ zur Steigerung der Milchproduktion. Diese Ernährung ließ den erwünschten Effekt der Abnahme durch Stillen ausbleiben…ja, auch darüber machte ich mir in dieser schweren Zeit Gedanken - absurd! Diese Gedanken gründen auf dem gesellschaftlichen Druck, die Schwangerschaftskilos wieder schnell zu verlieren und haben im Wochenbett so absolut gar nichts zu suchen!
Anmerkung: Deine Ernährung hat keinen Einfluss auf die Milchbindung, bitte lass dich kompetent beraten!
Ich legte Emma immer wieder an. Obwohl das ist gelogen – zu Beginn brauchte ich immer meinen Partner, der sie mir richtig vor die Brust legte, ob sitzend oder liegend. Dazu muss ich sagen, dass ich das Glück hatte, dass er sich vier Wochen Urlaub genommen hatte. Das Stillen mit Stillhütchen klappte jedoch nur sehr selten. Auch eine Milch-Pipeline in das Stillhütchen war nicht das, was uns weiterhelfen sollte, weil mir diese Methode viel zu umständlich war.
Emma wurde daher wochenlang in stundenlanger Geduldsarbeit per Fingerfeeder von meinem Partner gefüttert, während ich an der Milchpumpe angeschlossen dasaß und kritisch den Milchfluss in die Flasche beobachtete. In diesen ersten Wochen drehte sich meine Welt um einzuhaltende Zeiten, ein Hin und Her zwischen rechts und links und das akribische Protokollieren von Millilitern und Uhrzeiten. Wenn das Zufüttern durch Pre-Nahrung einen größeren Anteil ausmachte als meine Muttermilch, machte ich mir Vorwürfe. Manchmal war jedoch ein Tag dabei, an dem die Muttermilch überwog und ich fühlte einen Rausch der Glückshormone, die jedoch schon beim nächsten gescheiterten Anlegen wieder verpufften.
Was für eine Achterbahn – ich konnte oft das kleine Glück gar nicht wertschätzen, da zwischendurch irgendetwas schon wieder nicht meinen Idealvorstellungen entsprach.
Es brauchte meinen Partner und meine Hebamme, die mir immer wieder aufzeigten, wie weit wir schon gekommen waren, welche Fortschritte Emma und ich beide schon gemacht hatten. Aber da das Stillen/Füttern nicht nur einmal am Tag passiert, war dieser langsame aber stetige Fortschritt für mich schwer zu erkennen. Irgendwann sagte unsere Hebamme, dass wir auf die Protokolle verzichten sollen, denn da macht man sich verrückt und verliert das eigentlich wichtige aus den Augen, nämlich dass das Kind gut gedeiht.
Mit den Wochen stieg ihr Milchbedarf und das Füttern per Fingerfeeder wurde unmöglich und wir trauten uns, trotz der Angst vor einer Saugverwirrung, an die Flasche. Sie wurde gut angenommen und seien wir ehrlich – eine Saugverwirrung zwischen Brustwarze, kleinem Finger, Stillhütchen in unterschiedlichen Größen und der Flasche?
Wir lebten in purer Verwirrung!
Doch Emma sollte uns alle überraschen: Sie meisterte den Umgang mit dem Stillhütchen, meine Milchmenge pendelte sich ein und nach vier Wochen konnte ich meine Tochter endlich voll stillen. Es sollte aber noch weitere lange 16 Tage dauern bis sie an einem Donnerstagmorgen das letzte Mal mit Stillhütchen an der Brust trinken würde. Ein kontinuierliches mit und ohne Hütchen, das Abpassen des richtigen Timings und des Sättigungsgrades war hier der Schlüssel.
Inzwischen lernten wir das Anlegen in den unterschiedlichsten Positionen und das auch ohne das riesige Stillkissen. Zu Beginn war es für mich ein regelrechtes Wunder, wie Mütter ihre Babys einfach mal so nebenbei in jeder Situation und Position anlegen und mit dem Wichtigsten versorgen konnten – heute zähle ich mich zu diesen glücklichen Wundertäterinnen.
Stillen sollte nie wehtun – weder physisch noch psychisch; Stillen sollte für beide eine wunderbare Erfahrung sein. Manchmal ist es Kampf, der dich an deine Grenzen bringt, aber wenn du durchhältst, weil du es wirklich willst, dann lohnt es sich so sehr!
Außerdem machen wir jetzt Teilzeitwindelfrei und ich merke, dass ein unruhiges Baby an der Brust oftmals einfach mal muss. Wir Erwachsenen möchten ja auch nicht essen oder trinken, wenn wir dringend auf Toilette müssen.
Nach der Geburt wurden Stillschwierigkeiten auf Seiten des Kindes auf Müdigkeit, mögliche Gelenkprobleme oder ein verkürztes Zungenband eingegrenzt. Ja, unsere Tochter ist am Anfang oft an der Brust eingeschlafen und wir mussten sie ständig stimulieren; auch den Osteopathen haben wir besucht, der aber nur eine kleine Verspannung löste und ihre Zunge konnte sie sowieso ganz weit aus dem Mund strecken. Ich denke, dass wir mit dem Abhalten schon früher einiges hätten einrenken können – die Bauchschmerzen, die Blähungen und eben die dadurch entstandenen Stillprobleme.
Für eine funktionierende, harmonische und schmerzfreie Stillbeziehung musste ich sechs Wochen kämpfen und ich würde es immer wieder tun!
Alleine hätte ich es nie geschafft!
Dann hätten wir jetzt ein Flaschenkind, was aber auch in Ordnung wäre, denn die Hauptsache ist, dass das Kind und die Mutter gesund sind.
Ich persönlich wollte und konnte mich aber nicht von diesem Bild in meinem Kopf verabschieden, dass ich meine Tochter ohne Probleme stille, egal wann und wo und voilà: